Russlands Aufstieg zur Weltmacht

 

Die Lebensverhältnisse in Russland um 1900 waren mittelalterlich: Vier von fünf Russen waren verarmte Kleinbauern, Landarbeiter oder Knechte

Zwar war schon 1861 die Leibeigenschaft abgeschafft worden, danach mussten die Bauern aber ihre Grundstücke von den Grundherren abkaufen, um sie eigenverantwortlich zu bewirtschaften. Die hohen Preise für den Boden konnten die meisten Bauern gar nicht bezahlen, so dass sie sich bei ihren früheren Grundherren verschuldeten.

Die Folge: Zwei Drittel des Landes blieben in der Hand von Grundbesitzern. Hohe Steuerlast, starke Geburtsraten und Missernten bestimmten das Leben der russischen Bauern. 

Bis 1830 gab es in Russland kaum feste Straßen. Zu dieser Zeit begann die Regierung mit dem Ausbau des Eisenbahn- und des Telegrafennetzes, um die unendlichen Weiten des Landes irgendwie passieren zu können. Schließlich umfasste Russland ganze 23 Millionen Quadratkilometer.

Mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes hielt nun die Industrialisierung in Russland Einzug. Es entstanden einige Industriezentren und mit ihnen eine Arbeiterschaft. Russland verfügte über viele Bodenschätze, die nun Investoren ins Land lockten, die Fabriken errichteten. Französische Anleger zogen eine Eisenindustrie auf, Briten übernahmen die Vermarktung der russischen Ölquellen. Jedoch entstanden nur wenige und kleine Industriezentren, so dass der Rückstand zu Westeuropa insgesamt nicht aufgeholt werden konnte.

Die wichtigsten Industriezentren entstanden in der Nähe von Moskau und St. Petersburg. Dort herrschten bald dieselben Verhältnisse wie in den europäischen Industriegebieten: Die Arbeiter arbeiteten unter gefährlichen und menschenunwürdigen Bedingungen und lebten in überfüllten Elendsquartieren. Für lange Arbeitszeiten erhielten sie nur geringe Hungerslöhne, bei Krankheit und Unfällen gab es keinerlei Unterstützung.

Russland war weit von einer modernen Entwicklung entfernt. Das größte Hindernis auf dem Weg dorthin war der Zar bzw. das System der Zarenherrschaft. Der Zar ließ Gegner seiner Herrschaft von Beamten verfolgen. Die russische Polizei konnte ohne richterlichen Beschluss Leute verhaften und verbannen. Jegliche Druckschriften wurden vor der Veröffentlichung einer strengen Zensur unterzogen. 

Steigende Unzufriedenheit

Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde die russische Bevölkerung immer unzufriedener mit der Zarenherrschaft. Sie forderten einen moderneren Staat mit mehr Freiheit für die Menschen. Auch die Arbeiterschaft begann, sich gegen die Ausbeutung zu wehren. In den 1890er Jahren wurde in Russland eine sozialdemokratische Arbeiterpartei gegründet. In dieser Partei nahm Wladimir Iljitsch Uljanow (genannt „Lenin“) großen Einfluss.

Erste Maßnahmen

Im Jahr 1905 lehnten sich alle Schichten gemeinsam gegen die Zarenherrschaft auf. Die gehobene Klasse (z.B. Anwälte, Ärzte) forderten demokratische Grundrechte und eine Beteiligung an der Regierung.

Die Arbeiter forderten eine konkrete Verbesserung ihrer Lebensumstände. 1905 gründeten Arbeiter überall Räte („Sowjets“), in denen sie über notwendige Veränderungen sprachen.

Zu dieser Zeit gab es immer mehr Ausschreitungen von Bauern gegen ihren Gutsherren. Nur mit der Hilfe des Militärs konnte der amtierende Zar Nikolaus II. seine Herrschaft retten. Allerdings musste Nikolaus II. Zugeständnisse an sein Volk machen: Er erlaubte, dass eine Verfassung ausgearbeitet wird und dass eine Volksvertretung („Duma“) errichtet wird.

Parteien entstehen

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildeten sich nun auch in Russland politische Parteien. Jede Partei vertrat die Interessen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe: 

 

  • Kadettenpartei: vertrat die Interessen des liberalen Bürgertums,
  • Partei der Sozialrevolutionäre: vertrat die Interessen der Bauern,
  • Sozialdemokratische Partei: vertrat die Interessen der Arbeiterschaft.

 

Lenin war der Führer der Sozialdemokratischen Partei. Seine Forderungen nach einem kompletten Umbau der Gesellschaft waren so radikal, das sich die Partei spaltete, in

 

  • die „Bolschewiki“ (radikal) und
  • die „Menschewiki“ (gemäßigt).



Im Jahr 1906 wurde in Russland ein Parlament gegründet, in dem Vertreter aller Parteien über Probleme und Maßnahmen sprachen.

Den Zaren interessierten aber weder die Wünsche der Parteien noch die Beschlüsse des Parlaments. Er stützte seine Macht weiter auf das Militär und die Polizei und zeigte keine Bereitschaft, die russische Gesellschaft zu verändern.

 

Der Zar dankt ab

Im Ersten Weltkrieg agierte der Zar äußerst unfähig. An der Front kassierten die russischen Truppen eine Serie von Niederlagen. Zuhause erlitt die Bevölkerung eine Hungersnot. Im Jahr 1917 entlud sich die Wut der Arbeiter und Soldaten in schweren Unruhen in der Hauptstadt Petrograd. 

Anders als bisher verweigerten die Soldaten dem Zaren den Gehorsam und gingen nicht gegen die Aufständischen vor. Dem Zar gelang es nicht, die Lage zu befrieden. Stattdessen entschied er sich, abzudanken.

Das Rätesystem

Es bildete sich eine Übergangsregierung aus adligen und bürgerlichen Duma-Abgeordneten. Die eigentliche Macht lag aber bei den Räten („Sowjets“). 

Ratsmitglieder wurden vom russischen Volk gewählt. Wahlberechtigt waren alle Männer und Frauen über 18 Jahre, die ihren Lebensunterhalt aus produktiver bzw. gesellschaftlich nützlicher Arbeit verdienten, also Arbeiter, Bauern und Soldaten.

Ratsmitglieder waren jederzeit rechenschaftspflichtig und abwählbar, durften nur einen durchschnittlichen Lohn beziehen und genossen keinerlei Privilegien. 

Es gab Dorf-, Kreis-, Bezirks- und Provinzräte, die regelmäßig tagten. Die Räte konnten selbst keine Beschlüsse fassen, wählten aber Exekutivkomitees. Diese Komitees waren erließen Gesetze und kontrollierten deren Umsetzung – immer im Austausch mit den Räten.

Welche Personen waren nun überhaupt in den Räten? Die Räte waren mehrheitlich durch Sozialdemokraten besetzt, und zwar durch gemäßigte Sozialdemokraten („Menschewiki“). Diese duldeten die Übergangsregierung und sahen die Zeit für den Sozialismus (die komplette Machtübergabe an die Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte) noch nicht gekommen.

Die Russische Revolution

Lenin sah das anders. Er forderte die Räte auf, sofort die Macht über Russland zu ergreifen. Er wollte das sofortige Ende des Krieges. Außerdem müsse man den Sozialismus sofort – notfalls mit Gewalt – einführen.

Die Übergangsregierung schaffte es nicht, die Lage an der Front und die Hungersnot im Land in den Griff zu bekommen. Die Schwäche nutzte Lenin aus und überzeugte die Menschen von der Notwendigkeit des radikalen Umsturzes. Nur die Bolschewiki würden die Lage Russlands in den Griff bekommen. Nun wurden verstärkt Bolschewiki in die Räte gewählt. Im Oktober 1917 brachten die Bolschewiki die beiden wichtigsten Räte (den von Moskau und den von Petrograd) unter ihre Kontrolle. Lenin nutzte diesen günstigen Moment für den totalen Umsturz. Er ließ die Mitglieder der Übergangsregierung verhaften und übernahm selbst die Führung einer bolschewistischen Regierung.

Erste Maßnahmen

Damit begann weltweit das erste Experiment einer kommunistischen Regierung, in der alle Macht beim arbeitenden Volk liegen sollte. Es war völlig ungewiss, ob eine solche Regierung funktionieren könnte, da es auf der ganzen Welt kein Vorbild dafür gab. Alle Welt schaute skeptisch auf Russland und Lenin.

Lenin wusste, dass er äußerst entschieden und planvoll vorgehen musste. In der Anfangsphase würde es am Wichtigsten sein, den Widerstand der Gegner mit äußerster Härte zu brechen. Er setzte eine Geheimpolizei in Kraft. Diese griff Mitglieder der Kadettenpartei, der Sozialrevolutionäre, aber auch Menschewiki auf und tötete diese.

Ein Jahr später, 1918, gab es nur noch Bolschewiki. Diese nannten sich nun in „Kommunistische Partei“ um. Außerdem setzte Lenin eine Revolutionsarmee, die „Rote Armee“ ein. Diese bekämpfte gezielt die zarentreuen Truppen.

1921 galt die Revolution als beendet, die kommunistische Sowjetrepublik hatte sich gegen alle Widerstände durchgesetzt. In den Jahren 1922 und 1923 erlitt Lenin mehrere Schlaganfälle, an deren Folgen er 1924 starb.

Stalin an der Macht

Nach dem Tod Lenins setzte sich Josef Stalin an die Spitze der kommunistischen Bewegung. Dieser setzte sich hohe Ziele: Russland aus der wirtschaftlichen Rückständigkeit. Russland sollte ein kommunistisches Musterland werden, dass alle kapitalistischen Länder an Fortschrittlichkeit übertreffen sollte.


 

Stalins Maßnahmen

Träumte Lenin noch von der kommunistischen Weltrevolution, konzentrierte sich Stalin allein auf Russland und ergriff folgenschwere Maßnahmen, um den Kommunismus zu sichern.

Stalin ließ „Kolchosen“ errichten. Alle Bauern mussten ihren Besitz in Gemeineigentum überführen. Dieses sollte dann gemeinsam von einer Kolchose bewirtschaftet werden. Viele Bauern weigerten sich, ihren Besitz abzugeben. Diese wurden auf staatlichem Weg enteignet.

 

Innerhalb einer Kolchose wurden 

  • die Arbeitszeiten, 
  • die Anbauarten und -mengen, 
  • die Ablieferung und 
  • die Verteilung der Erzeugnisse 

genau festgelegt und überwacht.

Verstöße gegen die Festlegungen galten als Verbrechen gegen den Staat und wurden streng bestraft. Das System zeigt sich tatsächlich als wirtschaftlich erfolgreich. Russland wurde zum größten Getreideexporteur. Der Ertrag aus dem Getreidehandel wurde verwendet, um Industriegüter aus Europa einzukaufen. Gleichzeitig wurde die Industrialisierung schnell vorangetrieben. Fünf-Jahres-Pläne regelten, welche Aufbauleistungen erbracht werden sollten. Fabriken und Kraftwerke, Verkehrswege und ganze Städte wurden in kurzer Zeit aus dem Boden gestampft. Die Sowjetunion wurde innerhalb weniger Jahre zu einer wirtschaftlichen und militärischen Großmacht.

 

Die Schattenseiten

Doch dieser Erfolg basierte auf rücksichtsloser Ausbeutung des russischen Volkes. Stalin errichtete eine menschenverachtende Diktatur.

Circa 20 Millionen Menschen bezahlten den Aufbau des Sozialismus mit ihrem Leben. Sie wurden hingerichtet oder starben an den Folgen katastrophaler Arbeitsbedingungen. Wer sich gegen seine Ausbeutung wehrte oder auch nur Kritik äußerte, landete in einem der vielen Straflager und arbeitete dort unter noch schlechteren Bedingungen. 

Allein der Verdacht, nicht die Linie Stalins zu vertreten, konnte schon zum Todesurteil führen. Zwischen 1936 und 1938 unternahm Stalin eine große „Parteisäuberung“, bei der Kritiker innerhalb der Partei eliminiert wurden.

 

Bilanz

Der Sozialismus sollte ursprünglich die Rechte der Arbeiterschaft sichern und ihren Status als Leistungsträger innerhalb der Gesellschaft Rechnung tragen. Nicht mehr Adlige oder Günstlinge des Zaren sollten über die Lebensbedingungen der Arbeiter und Bauern entscheiden – sondern diese selbst. 

Ein ausgewogenes Rätesystem sollte Gerechtigkeit und Freiheit im Land herstellen. Die Realität sah anders aus. Schon unter Lenin wurden Kritiker und Feinde des Systems ausgeschaltet. Lenis Nachfolger Stalin übernahm wieder die Rolle des Alleinherrschers, der keine Beteiligung und keine Kritik duldete. Die Situation der Arbeiter und Bauern war schlechter als zur Zeit der Zarenherrschaft. Nach außen demonstrierte Russland wirtschaftliche und militärische Stärke. 

 

 

Aufgaben:

1. Erkläre die folgenden Begriffe mit Hilfe des Textes:

  • Boschewiki
  • Duma
  • Kolchose
  • Menschewiki
  • Parteisäuberung
  • Sowjets
  • Zar


2. Wie waren die Lebensbedingungen in Russland um 1900? Notiere Stichpunkte.

3. Was waren die Machtmittel des Mars um 1900?

4. Die Bevölkerung war zunehmend unzufrieden mit der Zarenherrschaft. Was waren die Forderungen des Volkes?

5. Wie kam es dazu, dass der Zar abdankte?

6. Erkläre die Vorteile des Rätesystems gegenüber der Zarenherrschaft.

7. Stalin baute den russischen Staat komplett um. Was waren seine Maßnahmen?

8. Der Sozialismus sollte die Gesellschaft positiv verändern und die Rechte der Arbeiter stärken. Hat das geklappt? Begründe deine Einschätzung.

Informationsquelle: Christoffer, Sven; Wilfried Dähling u.a.: Zeitreise 2., Ernst Klett Verlag, Stuttgart (2007)
Bildquelle: https://de.rbth.com/kultur/geschichte/2017/08/30/zwangskollektivierung-in-der-udssr-komm-zu-uns-in-die-kolchose-genosse_830420