Denazifizierung
Mindestens 12 Jahre hatte die nationalsozialistische Ideologie das Leben der deutschen Bevölkerung bestimmt.
Diese Ideologie beinhaltete:
- der Glaube an die Existenz verschiedener menschlicher Rassen,
- die Aufwertung der angeblich eigenen, „arischen“ Rasse,
- die Abwertung angeblicher anderer Rassen,
- der Glaube an eine „Blutreinheit“, die erhalten bzw. wiederhergestellt werden muss,
- Planung und Durchführung der Vernichtung angeblich minderwertiger Menschen,
- die Überzeugung, der eigenen Rasse durch Krieg mehr Lebensraum zuführen zu dürfen.
Um ein friedliches Land aufzubauen, musste die Nazi-Ideologie aus den Köpfen der Menschen gebracht werden. Eine schwierige Aufgabe, denn die nationalsozialistische Ideologie wurde schon viele Jahre vor dem Krieg in den Schulen, an den Arbeitsstätten, bei allen Freizeitveranstaltungen und über alle Medien verbreitet. Wer zum Kriegsende 22 Jahre alt war, hatte nie irgendetwas anderes kennengelernt als die Ideologie der Nationalsozialisten, war also kaum in der Lage, diese Ideologie zu hinterfragen.
Um die Deutschen schnell dazu zu bringen, anders zu denken und zu handeln, erließ der Alliierte Kontrollrat schon im Januar 1945 eine „Entnazifizierungs-Direktive“. Im Oktober folgten konkrete Maßnahmen für den Umgang mit aktiven und weniger aktiven Nationalsozialisten. Um die Verantwortlichkeit jedes Einzelnen zu erfassen und die Maßnahmen zur Entnazifizierung zu systematisieren, wurden 5 Gruppen eingeteilt:
1. Hauptschuldige
2. Belastete (Aktivisten, Militaristen und Nutznießer)
3. Minderbelastete (Bewährungsgruppe)
4. Mitläufer
5. Entlastete (Personen der Kategorie 1 bis 4, die nachweisen können, dass sie nicht schuldig sind)
Obwohl die Direktive ein gleiches Vorgehen in allen Besatzungszonen sicherstellen sollte, war die Entnazifizierungsprozedur in den einzelnen Zonen längst im Gang. Die Briten und Franzosen waren am wenigsten streng, betrieben einen geringen Aufwand und hielten es für ausreichend, Nazis aus Führungspositionen zu entfernen bzw. die Eliten generell auszutauschen. Die Amerikaner waren strenger und rigoroser.
In der sowjetischen Besatzungszone
Hier erfolgte die konsequenteste Entnazifizierung. Sofort wurden alle ehemaligen NSDAP-Mitglieder aus allen wichtigen Positionen entfernt. Ende Oktober 1946 traten hier eigene "Richtlinien für die Bestrafung der Naziverbrecher und die Sühnemaßnahmen gegen die aktivistischen Nazis" in Kraft.
Das waren die Maßnahmen gegen „aktivistische Nazis“:
1. Entlassung aus öffentlichen Verwaltungsämtern und Ausschluss von Tätigkeiten, die öffentliches Vertrauen erfordern;
2. zusätzliche Arbeits-, Sach- und Geldleistungen;
3. Kürzung der Versorgungsbezüge und Einschränkung bei der allgemeinen Versorgung, solange Mangel besteht;
4. Nichtgewährung der politischen Rechte einschließlich des Rechts auf Mitgliedschaft in Gewerkschafts- oder anderen Berufsvertretungen und in den antifaschistisch-demokratischen Parteien."
Jedoch erfuhren – genau wie in den Westzonen – auch hier Fachleute, die für den Wiederaufbau unentbehrlich waren, eine Besserbehandlung. Trotzdem verzeichnete die Ostzone schon Ende 1946 insgesamt 390478 NSDAP-Mitglieder, die entlassen und nicht wieder eingestellt wurden.
Die Speziallager
Auf Initiative des sowjetischen Geheimdienstes wurden in der Ostzone außerdem „Speziallager“ zur Inhaftierung identifizierter Nazis errichtet. Die Verhaftung erfolgte sehr willkürlich, die Behandlung in den Lagern war sehr schlecht. Der Zweck der Inhaftierung war, die Vergehen der Insassen genau zu rekonstruieren und sie auch möglichst lange aus dem Verkehr zu ziehen – schließlich lief „draußen“ die politische Neugestaltung des Landes.
Die bekanntesten Speziallager waren die ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald und Sachsenhausen. Zwischen 1945 und 1950 wurden 50 000 Personen in den Speziallagern inhaftiert, von denen 12 000 ums Leben kamen und in Massengräbern beerdigt wurden.
In der amerikanischen Besatzungszone
In der amerikanischen Besatzungszone wurden 13 Millionen Erwachsene per Fragebogen überprüft. Bei der Einstufung als Schuldiger oder Mitläufer konnten "Persilscheine" bedeutsam sein.
Nach Auswertung aller Fragebögen wurde ein Zehntel der Befragten verurteilt.
Nur weniger als ein Prozent der ursprünglich Befragten erhielten am Ende tatsächlich eine Strafe oder dauerhafte Nachteile. Die Anklage erfolgte in Spruchkammern. Das waren Laiengerichte mit öffentlichen Klägern.
In der amerikanischen Besatzungszone wurde schon im Frühjahr 1946 das „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ verabschiedet, mit dem die Säuberung in deutsche Hände gelegt wurde. Neben den Forderungen nach Separierung und Bestrafung trat nun eine dritte: die der Rehabilitierung, also der Wiedereingliederung in die Gesellschaft.
Das Ende der Entnazifizierung
Nach und nach wurde auch in den anderen Zonen die Rehabilitierung immer wichtiger – es musste ja irgendwie weitergehen.
Zum Ende des Jahres 1946 ließ in allen Zonen der Ehrgeiz bei der Erfassung nationalsozialistischer Straftäter stark nach. Es gab zuerst eine Jugendamnestie, die alle nach 1919 Geborenen freisprach, später eine Weihnachtsamnestie für sozial Schwache und Kriegsbeschädigte. Im Frühjahr 1948 war die politische Säuberung so gut wie abgeschlossen.
Es gab nun weniger Kontrollen und verkürzte Verfahren. Das hatte zur Folge, dass schwer belastete Nazis, die jetzt noch ausfindig gemacht wurden, glimpflicher davonkamen minder schwere Fälle, die kurz nach Kriegsende angeklagt wurden.