Im Mittelalter wagten sich nur wenige Männer in ferne, unbekannte Gebiete. Der junger Venezianer Marco Polo gehörte dazu: Er machte sich 1271 auf den Weg nach China. Und als er nach mehr als 25 Jahren zurückkehrte, hatte er Unglaubliches zu berichten…
Venedig im Jahr 1271
Was wird wohl an diesem Frühlingstag im Kopf von Marco Polo vorgegangen sein? Gerade hat der 17-jährige mit seinem Vater Niccoló und seinem Onkel Maffeo ein Schiff betreten, das nun sanft auf dem offenen Meer schaukelt. Venedig, die mächtige Handelsstadt mit ihren Lagerräumen, Brücken und Kirchen verschwindet am Horizont.
Nach China wollen die drei Polos reisen, dorthin, wo es Edelsteine, Seide und Gewürze in Hülle und Fülle geben soll. Wäre doch gelacht, wenn die Kaufmänner daraus kein lohnendes Geschäft machen könnten.
Reisevorbereitungen
Bestimmt ist Marco Polo ganz kribbelig vor Reisefieber. Niccoló und Maffeo wissen bereits, was ihnen bevorsteht. Die beiden Brüder sind schon einmal auf einer ihrer Handelsreisen bis nach Beijing (Peking) gelangt. Sie kennen sogar den Herrscher von China, Khubilai Khan.
Es geht los
Über die Stadt Akko, die im heutigen Israel liegt, ziehen die Polos (wahrscheinlich mit einer Karawane) in Richtung Asien. Marco kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. In Persien bewundert er edle Kamele und Pferde; in Afghanistan kostet er „die besten Melonen der Welt“. Eine Weile folgen die Polos der Seidenstraße, die Europa und Asien miteinander verbindet und auf der Seide, Pelze, Gold, Wolle und Weihrauch transportiert werden. Später quälen sie sich auf schmalen Gebirgspfaden über den Pamir, das riesige Gebirge in Zentralasien.
Schlimmer als die kalten Berge sind jedoch die glutheißen Wüsten Takla-Makan und Gobi. Marco Polo berichtete, in den Wüsten Geisterstimmen gehört zu haben, die ihn derart verwirrt hätten, dass er die Karawane manchmal kaum wiedergefunden hätte.
Ankunft in China
Nach vier Jahren erreichen die Polos Xanadu, den Sommerpalast von Khubilai Khan in Shangdu. Welch eine Freude für den 60-jährigen Herrscher, seine alten Bekannten wiederzusehen! Niccoló stellt Marco vor mit den Worten: „Das ist mein Sohn. Und euer Gefolgsmann!“
Marco ist von Khubilai Khan begeistert. Für ihn ist er „der mächtigste unter allen Herrschern“, weise und mild.
Eine fremde Welt
Wenn der Khan reist, thront er auf einer Sänfte, die von vier Elefanten getragen wird. Eigens für ihn werden 10 000 weiße Stuten gehalten, deren Milch nur er trinken darf. Khubilais Sommerpalast, schreibt Marco Polo, sei aus Gold und Marmor. Vier Ehefrauen, unzählige Nebenfrauen, zehntausende Diener, Wachen und Soldaten gehören zu seinem Gefolge.
Geht der Khan auf die Jagd, so berichtete Marco Polo, wird er von 20 000 Jägern mit Hunden und von 10 000 Falknern begleitet. Für die Jagdgesellschaft werden dann mehr als 10 000 Zelte aufgebaut. Das Zelt des Khans ist ausgelegt mit Hermelin- und Zobelpelzen. „Einer, der es nicht mit eigenen Augen gesehen hat, vermag sich den Glanz und die Großartigkeit dieses Hofen gar nicht vorzustellen“, schrieb Marco Polo. Und Khubilai Khan seinerseits findet Gefallen an Marco Polo. Er nimmt ihn als eine Art Gesandter oder Verwalter in seine Dienste. Niccoló und Maffeo ziehen, um Geschäfte abzuschließen, weiter. Marco reist im Auftrag des Khans durch China. Dabei sieht er wundersame Dinge, zum Beispiel Papiergeld. In den Hütten der Menschen entdeckt er „brennende Steine“ (Steinkohle), die in seiner Heimat unbekannt ist. Er bewundert das Postsystem. Kaiserliche Läufer übergeben sich Nachrichten gegenseitig so schnell, dass sie eine 10-Tages-Strecke in einem Tag und einer Nacht schaffen.
Zurück nach Hause
17 Jahre bleiben Marco und seine Verwandten in China. Sie sind hoch geachtet, besitzen Juwelen und Gold, doch trotzdem überkommt sie irgendwann das Heimweh. Nur widerwillig lässt der alte Khubilai Khan die drei schließlich ziehen. Unter einer Bedingung: Auf der Rückreise müssen sie eine Prinzessin des Hofes nach Persien begleiten, weil das Mädchen dort verheiratet werden soll.
So stechen Marco, Niccoló und Maffeo 1291 mit 14 Schiffen, vielen Geschenken und der Prinzessin in Ostchina in See. Drei Jahre dauert es, so berichtete Marco Polo, bis sie Persien erreicht hatten. Und endlich, weitere 4 Jahre später, sehen sie endlich Venedigs Kirchtürme wieder. Khubilai Khan war da bereits gestorben.
Die Reiseroute der Polos
Zurück in Venedig
Wieder zuhause redet Marco Polo unentwegt von seinen Erlebnissen in China, vom Reichtum des Khans und von seinem eigenen Reichtum. Das bringt ihm den Spitznamen "Il millione" ein.
Bald bricht ein Seekrieg zwischen Venedig und Genua aus, bei dem Marco Polo auf der Seite seiner Heimatstadt kämpft. Bei einer Seeschlacht gerät er in Gefangenschaft. Dort erzählt er seinen Mitgefangenen pausenlos von seinen Erlebnissen in China. Ein Gefangener beginnt, Marcos Schilderungen aufzuschreiben, um sie später zu veröffentlichen. Das Buch wurde tatsächlich hergestellt und wurde ein großer Erfolg. Der Titel: "Il millione".
"Il millione"
Es müssen viele Exemplare des Buches im Umlauf gewesen sein. Denn es gibt heute noch 150 Abschriften, einige davon sind sogar Übersetzungen in andere Sprachen.
Marcos spannender Reisebericht begeistert die Leser. Doch auch Gelehrte nutzen das Buch. Wo konnte man damals soviel über den fernen Osten erfahren?
Geografen, also Menschen, die Landkarten herstellten, interessieren sich besonders für die Entfernungsangaben im Buch. Sie übernehmen die Angaben Marco Polos für ihre Karten. Später wird ein gewisser Marco Polo mit Hilfe Marco Polos Entfernungsangaben sogar seine Seereise planen...
Zweifel und Misstrauen
Doch schon zu Lebzeiten Marco Polos gibt es viele Menschen, die seine Geschichten nicht glauben. Sie werfen ihm vor, die ganze Reise oder die Begegnung mit dem Khan erfunden zu haben, um sich wichtig zu machen. Als Marco Polo alt ist und ihn die Lebenskräfte verlassen, forderen ihn seine Verwandten auf, endlich seine Lügengeschichten zu widerrufen, um mit reiner Seele vor das Himmelstor zu treten. Doch Marco Polo beteuert: "Ich habe nicht die Hälfte dessen erzählt, was ich erlebt habe." Im Jahr 1324 stirbt er schließlich.
Glauben wir heute seine Geschichten?
Die Forscher sind sich nicht ganz einig. Die meisten gehen davon aus, dass die Reise wirklich stattgefunden hat. Denn die Reiseschilderung enthält zu viele Details, die Marco Polo nirgendwo abgeschrieben haben kann.
Allerdings glauben die meisten, dass Marco Polo ein einfacher Durchreisender war. Viele Forscher bezweifeln, dass Marco Polo Kontakt zum Khan hatte oder dass er sich sogar viele Jahre an dessen Hof aufgehalten hat. Allerdings kann auch niemand beweisen, dass Marco Polos Berichte nicht stimmen...
Aufgaben zum Text
1. Erst einmal ein kleiner Lese-Check.
Klicke auf das Lernspiel und schätze die Aussagen als "wahr" oder "falsch" ein.
2. Beantworte die folgenden Fragen schriftlich im Hefter:
a) Mit wem reiste Marco Polo 1271 nach China?
b) Wie lange waren sie unterwegs?
c) Von wem wurden die Drei in China freudig empfangen?
d) Wie lange blieben die Drei in China?
e) Was müssen Niccoló, Maffeo und Marco auf der Rückreise "erledigen"?
f) Welchen Spottnamen erhält Marco Polo in Venedig und warum?
g) Marco Polos Reisegeschichten wurden überall bekannt, sogar über die Grenzen Venedigs hinaus. Warum?
h) Es gibt viele Zweifel an Marco Polos Geschichten. Was glaubst du: Stimmen die Reisegeschichten, stimmen sie teilweise oder snd sie komplett erfunden? Begründe deine Meinung.
3. Marco Polo erlebt am Hofe des chinesischen Herrschers viel Seltsames. Notiere in Stichpunkten acht Dinge oder Verhaltensweisen, die Marco Polo zum Staunen brachten.