Die Sportpalastrede
"Wollt ihr den totalen Krieg?"
Die erste Phase des Krieges verlief erfolgreich für die deutsche Wehrmacht – in erster Linie durch die Blitzkriegstrategie, bei dem Gebiete schnell und durch ein abgestimmtes Zusammenspiel von Luftwaffe und Bodentruppen regelrecht überrannt wurden. Auf einen längeren Krieg und lange, zermürbende Schlachten hatte sich die deutsche Militärführung nicht vorbereitet und hatte dafür auch keine ausreichenden Kapazitäten.
Die sowjetischen Militärführer beobachteten die Vorgehensweise der Deutschen und waren gut vorbereitet, als die Wehrmacht im Sommer 1941 auf sowjetischen Gebiet einmarschierte. Sie setzten auf einen „Kampf der Maschinen“, auf einen Abnutzungskrieg“. Die Deutschen sollten durch eine Verzögerungstaktik, durch eine bessere Versorgung der sowjetischen Truppen mit Nachschub und durch eine höhere Waffenproduktion geschlagen werden.
Die Pläne gingen auf: Die Eroberung Moskaus scheiterte, auch die Kaukasischen Ölfelder wurden nie erobert. Die Schlacht in Stalingrad, bei der im Winter 1942/43 zehntausende deutsche Soldaten eingekesselt wurden, steht symbolisch für den gescheiterten Russlandfeldzug und überhaupt für das Ende der Erfolgsserie der deutschen Wehrmacht.
Auch in Afrika lief es 1943 nicht gut – die alliierten Truppen kämpften um die Vorherrschaft in Nordafrika und drängten die Achsenmächte in die Defensive.
Obwohl die Soldaten in Stalingrad zu Verschwiegenheit verpflichtet waren, gab es allmählich im Deutschen Reich Gerüchte über einen schlechten Verlauf des Krieges.
Der Propagandaminister Goebbels hatte nun wichtige Aufgaben:
- Zweifel in der Bevölkerung aus dem Weg räumen,
- das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den Soldaten im Feld und den Zivilisten zuhause stärken und
- das Volk auf eine radikalere Kriegsführung und höhere Kriegskosten einschwören.
Eine mitreißende Rede sollte das Ruder wieder herumreißen. Diese Rede hielt Joseph Goebbels am 18. Februar 1943, also 16 Tage nach der Kapitulation in Stalingrad. Der Anlass war ein Parteitag der NSDAP, der im Berliner Sportpalast stattfand. Die Zuhörerschaft bestand aus handverlesenen treuen Parteifreunden. Eine Hundertschaft hatte im Vorfeld Parolen einzustudieren, die an bestimmten Stellen der Rede gerufen werden sollten. Außerdem wurde mit diesen Leuten im Vorfeld einstudiert, wann sie wie lange applaudieren sollten. Zusätzlich wurde über die Lautsprecheranlage des Sportpalastes Applaus von einer Schallplatte eingespielt. Die Rede wurde im Radio übertragen, so dass sie überall im Einflussgebiet der Nationalsozialisten gehört werden konnte und musste.
Goebbels‘ Assistenten berichteten später, Goebbels hätte die Rede stundenlang vor einem Spiegel einstudiert. Auf die Frage: „Was tun Sie, wenn das Publikum nicht wie gewünscht reagiert?“ soll Goebbels geantwortet haben: „Nach einer Stunde werde ich die Zuhörer soweit haben, dass sie auf Bäume klettern, wenn ich sie dazu auffordere.“ Die Rede dauerte 108 Minuten.
Der Aufbau der Rede
Goebbels begann die Rede mit einem Lob an das deutsche Volk. Es wäre sehr stark und würde die Wahrheit vertragen. Es erkenne die schwere Lage und sei bereit, diese Lage zu verbessern. Über die Gründe der schlechten Lage sprach Goebbels nicht. Dafür wäre gerade keine Zeit, das müsste erst später getan werden. Ganz knapp erklärte Goebbels die Niederlage gegen die Sowjetunion damit, dass der bolschewistische Feind stärker gewesen sei als gedacht. Das hätte man aber nicht wissen können – durch die Tarnungs- und Täuschungsmanöver des Feindes. Goebbels erklärte, der Krieg wäre nun umso notwendiger, um die Nation und ganz Europa vor der gigantischen Bedrohung durch die Bolschewisten zu beschützen.
Dann stellte Goebbels drei Hypothesen (Vermutungen / Behauptungen auf:
1. Wäre das Deutsche Reich nicht in der Lage, die Gefahr aus dem Osten zu brechen, verfällt das Reich und dann ganz Europa dem Bolschewismus.
2. Die deutsche Wehrmacht und das deutsche Volk können Europa mit Hilfe ihrer Verbündeten aus der Bedrohung durch die Bolschewisten befreien.
3. Es ist Gefahr im Verzug. Es muss schnell und gründlich gehandelt werden, sonst ist es zu spät.
Danach sprach Goebbels die Gäste im Sportpalast direkt an und tat so, als würden die Anwesenden das restliche Volk repräsentieren. Er erwähnte Invaliden von der Ostfront, Rüstungsarbeiter aus den Berliner Panzerwerken, Mitglieder der Partei, Wehrmachtssoldaten, Ärzte, Wissenschaftler, Künstler, Ingenieure, Architekten, Lehrer, Beamte und Angestellte, außerdem Frauen, junge und alte Menschen.
Danach fragte er: „Was hier vor mir sitzt, ist ein Ausschnitt aus dem ganzen deutschen Volk an der Front und in der Heimat. Stimmt das?“ Er erhielt frenetische Zustimmung.
Danach stellte Goebbels seinen Zuhörern weitere rhetorische Fragen, die sich alle auf die Kampfbereitschaft der Anwesenden bezogen und die allesamt mit einem einstimmigen, lauten „Ja!“ beantwortet wurden. Stark gekürzt waren das die Fragen:
1. „Glaubt ihr mit dem Führer und mit uns an den endgültigen, totalen Sieg der deutschen Waffen? […] unter Aufnahme auch der schwersten persönlichen Belastungen […]“
2. „Die Engländer behaupten, das deutsche Volk sei des Kampfes müde. […] Seid ihr bereit […] diesen Kampf […] fortzusetzen, bis der Sieg in unseren Händen ist?“
3. „Die Engländer behaupten, das deutsche Volk hat keine Lust mehr, sich der überhand nehmenden Kriegsarbeit […] zu unterziehen. […] Seid ihr […] entschlossen […] das Letzte für den Sieg herzugeben?“
4. „Die Engländer behaupten, das deutsche Volk wehrt sich gegen die totalen Kriegsmaßnahmen der Regierung. Es will nicht den totalen Krieg, sagen die Engländer, sondern die Kapitulation. Ich frage euch: Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn – wenn nötig – totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt erst vorstellen können?“
5. „Die Engländer behaupten, das deutsche Volk hat sein Vertrauen zum Führer verloren. […] Vertraut ihr dem Führer? […]“
6. „Seid Ihr von nun an bereit, Eure ganze Kraft einzusetzen […], die Menschen und Waffen zur Verfügung zu stellen […], um den Bolschewismus zu besiegen?“
7. „Gelobt ihr mit heiligem Eid der Front, dass die Heimat mit starker, unerschütterlicher Moral hinter der Front steht und ihr alles geben wird, was sie zum Siege nötig hat?“
8. „Wollt ihr, […] dass die Frau […] überall da, wo es nur möglich ist, einspringt, um Männer für die Front frei zu machen?“
9. „Billigt ihr […] die radikalsten Maßnahmen gegen einen kleinen Kreis von Drückebergern und Schiebern […]? Seid ihr damit einverstanden, dass, wer sich am Kriege vergeht, den Kopf verliert?“
10. „Wollt ihr, dass […] gerade im Kriege gleiche Rechte und gleiche Pflichten vorherrschen […]?“
Die Antwort auf die Frage „Wollt ihr den totalen Krieg?“ fiel besonders laut und stürmisch aus und ging prägend in die Geschichte ein. Das Ende der Rede lautete: „Der Führer hat befohlen, wir werden ihm folgen. Wenn wir je treu und unverbrüchlich an den Sieg geglaubt haben, dann in dieser Stunde der nationalen Besinnung und der inneren Aufrichtung. Wir sehen ihn greifbar nahe vor uns liegen; wir müssen nur zufassen. Wir müssen nur die Entschlusskraft aufbringen, alles seinem Dienst unterzuordnen. Das ist das Gebot der Stunde. Und darum lautet von jetzt ab die Parole: Nun, Volk, steh auf, und Sturm, brich los!“
Was sind Goebbels rhetorische Mittel?
- Goebels verwendet stark aufwertende und stark abwertende Wörter: „Führer“, „Sieg“, „Volk“, „Heimat“ gegen „Feind“ und „Weltpest“.
- Außerdem flechtet er viele Redewendungen aus dem religiösen Bereich ein: Es geht um den „heiligen Eid der Front“ oder um den „Glauben an den Sieg“.
Die Wirkung der Rede
Die über Rundfunk und Kino-Wochenschau verbreitete Rede, vor allem die frenetische Zustimmung der Zuhörer, suggeriert eine geschlossene, zum äußersten Krieg bereite „Volksgemeinschaft“. Allerdings zeigte sich in den folgenden Monaten keine signifikant höhere Entschlossenheit in der Kriegsführung. Die Kriegsmüdigkeit der Deutschen nahm in Anbetracht ausbleibender Erfolgsmeldungen weiterhin zu.
Die Rede im Wortlaut