Der Weg zum Deutschen Kaiserreich
1. Der Aufstieg Preußens unter Bismarck
Nach dem Scheitern der Märzrevolution war alles wieder wie vorher: Der Deutsche Bund wurde wieder hergestellt. Innerhalb des Deutschen Bundes stritten Preußen und Österreich um die Vorherrschaft.
1862 wurde Otto von Bismarck zum Ministerpräsidenten von Preußen ernannt. Er setzte sich dafür ein, dass Preußen der mächtigste Teilstaat im Deutschen Bund wurde. Seine erste Maßnahme war die Erhöhung der Militärausgaben.
1864 gab es Ärger mit Dänemark: Dieses Land erklärte die Herzogtümer Schleswig und Holstein (eigentlich Teil des Deutschen Bundes) zum dänischen Staatsgebiet. Bismarck reagierte sofort. Es kam zum Deutsch-Dänischen Krieg. Preußen und Österreich besiegten Dänemark gemeinsam. Dänemark musste beide Herzogtümer zurückgeben.
Doch der Friede zwischen Preußen und Österreich war nur von kurzer Dauer. Denn Bismarck arbeitete auf ein Deutsches Reich hin - unter der Führung Preußens. Dabei stand ihm Österreich im Wege. Deshalb kam es 1866 zum Deutsch-Österreichischen Krieg. Preußen gewann diesen Krieg.
2. Vom Deutschen Bund zum Norddeutschen Bund
Nach der Niederlage im Deutsch-Österreichischem Krieg musste Österreich den Deutschen Bund verlassen. Auch Bayern und Baden-Württemberg waren nicht mehr Teil des Bundes. Mit diesen Staaten schloss Bismarck Militärbündnisse. Aus dem Deutschen Bund wurde 1866 der Norddeutsche Bund - mit Preußen an der Spitze. Preußen hatte es also geschafft, alle mächtigen Konkurrenten aus dem Bündnis zu "beseitigen" und konnte das Geschehen im Norddeutschen Bund nun allein bestimmen. Dadurch kehrte auf innerdeutschem Gebiet Ruhe ein.
3. Neue Konflikte mit Frankreich
Als aber ein preußischer Prinz König von Spanien werden sollte, provozierte das den Unmut der Franzosen. Denn: Mit einem preußischen König in Spanien wäre Frankreich ja von preußischer Macht umzingelt gewesen!
Als Zeichen der Kompromissbereitschaft verzichtete der preußische Prinz sofort auf den spanischen Thron. Doch das reichte den Franzosen nicht. Stattdessen verlangten sie von Preußen, für alle Zeiten auf den spanischen Thron verzichten. Der preußische König weigert sich, eine solche Erklärung zu unterzeichnen. Daraufhin erklärte Frankreich im Jahr 1870 dem Norddeutschen Bund den Krieg.
Die süddeutschen Staaten sicherten dem Norddeutschen Bund sofort ihre Unterstützung zu. Gemeinsam errangen die nord- und süddeutschen Staaten einen Sieg gegen Frankreich. Der Krieg endete mit der Kapitulation Frankreichs und der Verpflichtung, eine hohe Entschädigungssumme an den Kriegsgegner zahlen. Außerdem musste Frankreich Teile an den Norddeutschen Bund abtreten. Dadurch verschärfte sich die Feindschaft zwischen Frankreich und den deutschen Nachbarn. Gleichzeitig stieg aber der Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl innerhalb der deutschen Staaten. Immer stärker wurde die Gewissheit unter den deutschen Offizieren und Fürsten, dass endlich ein gesamtdeutsches Kaiserreich geschaffen werden muss - und zwar so schnell wie möglich, am besten noch vor dem Ende des Krieges gegen Frankreich.
Und durch den Deutsch-Französischen Krieg sind sowieso gerade alle ranghohen Militärs in Paris versammelt. Warum sollte man nicht gleich hier, in Frankreich, die Kaiserproklamation vollziehen und damit die deutsche Einheit auf den Weg bringen? Moment mal, ein paar Kilometer entfernt, in Versailles, war doch so ein toller Spiegelsaal...? Die perfekte Kulisse für die Ernennung des gesamtdeutschen Kaisers! Und die größtmögliche Demütigung für die Franzosen.
4. Hinter den Kulissen: Überredungskünste und Sonderregelungen
Doch nicht alle waren von der Idee eines Deutschen Kaiserreiches begeistert. Während Baden und Hessen sofort zur Einigung bereit waren, wollte der König von Württemberg erst einige Sonderrechte im Militär- und Postwesen durchsetzen, was ihm auch gelang.
Schwieriger war es mit den Vorbehalten in Bayern. König Ludwig II., der „Märchenkönig“, verabscheute alles Preußische. Ihm war der Gedanke unerträglich, sein Land unter die Fuchtel der Berliner Politik zu stellen.
Aber Bismarck nutzte den Schwachpunkt des Monarchen – seine ungezügelte Baulust, die kaum noch zu bezahlen war. Er versprach dem „Märchenkönig“ eine jährliche Zahlung von 300.000 Goldmark zur freien Verfügung. Außerdem sicherte er dem Königreich Bayern erhebliche Sonderrechte im Post-, Telegrafen- und Eisenbahnwesen zu. Dann wurde dem bayerischen König ein vorgefertigtes Schreiben "untergeschoben", in dem er König Wilhelm I. von Preußen die Kaiserkrone anbot. Auf Schloss Hohenschwangau schob König Ludwig drei Tage lang Zahnschmerzen vor, bis er endlich das Dokument unterzeichnete.
Der bayerische König Ludwig II., der "Märchenkönig ...
... und sein legendäres Märchenschloss.
Nun war endlich alles klar mit der deutschen Einheit? Keineswegs! Denn nun erhob sich plötzlich Widerstand von einer Seite, von der niemand Widerstand erwartet hätte. Wie es auch schon die Revolutionäre der Märzrevolution vorgesehen hatten, sollte der preußische König der Kaiser Gesamtdeutschlands werden. Der 73-Jährige Wilhelm der I. galt als unkompliziert und friedfertig. Doch er war überhaupt nicht damit einverstanden, deutscher Kaiser zu werden. Er war Preuße durch und durch und konnte einem vereinten Deutschland so gar nichts abgewinnen. Besonders empörte ihn, dass sein künftiger Titel nicht „Kaiser von Deutschland“, sondern nur „Deutscher Kaiser“ lauten sollte.
Vergebens versuchte Bismarck, den alten Wilhelm umzustimmen. Es spielten sich turbulente Szenen ab, bei denen Bismarck angeblich mehrfach von Weinkrämpfen geschüttelt wurde. In den hitzigen Debatten drohte Wilhelm I. sogar mit seiner Abdankung.
Schließlich wandte sich Bismarck an den Großherzog Friedrich I. von Baden. Dieser war rangältester aller in Versailles anwesenden Fürsten und auch der Schwiegersohn Wilhelms. Ihm gelang tatsächlich das Kunststück, Wilhelm I. zu überreden, die Krone anzunehmen. Richtig überzeugt war Wilhelm aber nicht von der neuen Aufgabe. Noch einen Tag vor der Zeremonie schimpfte Wilhelm I.: „Morgen ist der unglücklichste Tag meines Lebens. Da tragen wir das preußische Königtum zu Grabe. Und daran sind Sie, Graf Bismarck, schuld.“
5. Die Kaiserproklamation
Am 18. Januar 1871 war es dann endlich soweit. Noch während deutsche Truppen Paris belagerten, versammelten sich 2000 ranghohe deutsche Personen im legendären Spiegelsaal von Versailles. Der Großherzog Friedrich I. von Baden sollte die Ernennung übernehmen. Doch wie genau würde er den neuen Kaiser bezeichnen - als "Deutschen Kaiser" oder als "Kaiser von Deutschland"? Für Wilhelm I. eine wichtige Frage! Doch der badische Großherzog löste das Problem äußerst diplomatisch und rief: „Seine Kaiserliche und Königliche Majestät, Kaiser Wilhelm, lebe hoch!“ Damit war das Deutsche Reich offiziell gegründet.
6. Die Flagge
Als Zeichen der Vollendung der Revolution wäre es ein gutes Signal gewesen, wenn die Flagge die Revolutionsfarben gehabt hätte: schwarz-rot-gold. Doch das wurde streng abgelehnt. Statt dessen sollte die Nationalflagge des Kaiserreiches schwarz-weiß-rot sein. Schwarz und Weiß waren die Farben Preußens. Weiß und Rot waren die Farben der deutschen Hansestädte. Die Flagge drückte die norddeutsche bzw. preußische Prägung des entstandenen Kaiserreiches aus.
7. Die Verfassung des Deutschen Kaiserreiches
- Die oberste Staatsgewalt sollte vom Kaiser und den deutschen Fürsten ausgehen.
- Deutscher Kaiser sollte immer derjenige sein, der auch der König von Preußen war.
- Der preußische Ministerpräsident war gleichzeitig der Reichskanzler des Deutschen Kaiserreiches. Dieser Reichskanzler hatte sehr viel Macht und war nur dem Kaiser rechenschaftspflichtig. Nur der Kaiser konnte den Reichskanzler einsetzen und absetzen.
- Die Außen- und Bündnispolitik wurde vom Kaiser bestimmt.
- Vertreter der Länderregierungen bildeten den Bundesrat. Der Bundesrat musste Gesetze und Haushaltspläne prüfen und bewilligen.
- Der Reichstag (=das Parlament) bestand aus Abgeordneten. Diese Abgeordneten wurden in freien, geheimen und direkten Wahlen gewählt. Wahlberechtigt waren alle Männer über 25 Jahre.
- Während der Kaiser die Außenpolitik bestimmte, befasste sich der Reichstag mit der Innenpolitik des Kaiserreiches.
Der berühmte deutsche Schriftsteller Thomas Mann sagte, dass aus dem "Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation" nun das "Unheilige Deutsche Reich preußischer Nation" geworden sei...
Aufgaben:
Beantworte die folgenden Fragen.
1. Ergänze:
1862 -
1864 -
1866 -
2. a) Warum kam es 1870 zum Deutsch-Französischen Krieg?
b) Wer kämpfte alles auf der Seite der Deutschen?
c) Wie ging der Deutsch-Französische Krieg aus?
d) Welche Gewissheit entstand am Ende des Krieges bei den Deutschen?
3. Nun soll endlich das Deutsche Kaiserreich ausgerufen werden.
a) Was sind die Hindernisse auf dem Weg zum Deutschen Kaiserreich?
b) Wann und wo findet die Kaiserproklamation statt?
4. a) Die Farben der Nationalflagge waren für viele eine Enttäuschung. Warum?
b) Die Flagge steht für eine bestimmte Prägung des Kaiserreiches. Für welche Prägung?
5. Viele Hindernisse und viele Schwierigkeiten auf dem Weg zum geeinten deutschen Staat. Was denkst du - ist das neue Reich stabil oder nicht? Welche Konflikte (innenpolitisch und außenpolitisch) könnten bald wieder aufbrechen?