Der Expressionismus

Die Erfindung der Fotografie und die Weiterentwicklung zum Film als „bewegtes Bild“ änderte den Anspruch an Kunst grundlegend. Vor der Entwicklung der Fotografie war der Anspruch an den Maler, sein Objekt möglichst realitätsnah darzustellen. Ein Gemälde war gut, wenn es „fast wie echt aussah“. 

Doch die Fotografie lieferte nun massenweise Bilder, die „aussahen wie echt“. Echter als ein Foto konnte kein Gemälde sein. Mit einem realitätsnahen Abbild der Wirklichkeit konnte kein Künstler mehr seine Betrachter beeindrucken. Der Anspruch an die Malerei änderte sich. Statt die möglichst echte Abbildung des Äußeren sollten Gemälde nun innere Eindrücke, Gefühle und Absichten zum Ausdruck bringen und nach außen kehren. Grelle Farben, schräge Formen, düstere Gestalten und verstörende Landschaften waren das Ergebnis. Das war das Zeitalter des Expressionismus.

 

Was bestimmte das Leben und Empfinden der expressionistischen Künstler? Kriegserlebnisse, Gewalt auf den Straßen, Lebensmittelknappheit und Hunger. Politische Unruhen, ständige Regierungswechsel, nicht endender Streit im Reichstag. Keine Stabilität, keine Hoffnung auf Besserung. Weltuntergangsstimmung. All das stellen sie auf ihren Bildern dar, die den Betrachter oft regelrecht anschreien. Kunst wird zum Mittel, seine Ängste und Traumata herauszuschreien.

 

So düster und hoffnungslos die expressionistischen Bilder oft wirken, zeigen sie auch ein nie gekanntes Maß an Kreativität und Innovation. Wie weit darf ein Maler gehen? Wie sehr darf ein Gemälde empören, erschrecken, verstören? Die Expressionisten loteten die Grenzen der Kunst neu aus und zwangen auch die Betrachter, über den Wert von Kunst neu nachzudenken. Expressionistische Kunst ist unglaublich lebendig. Es scheint, als wäre die Malerei aus jahrhundertelangem Dornröschenschlaf erwacht. Nie wieder kann der Anspruch an Kunst sein, die Wirklichkeit so echt wie möglich abzubilden. Eine neue Zeit war angebrochen.

 

 

 

Vergleich: Realismus - Expressionismus

Camille Corot: "Ville d'Avray" (1867)
Eine typische Landschaftsmalerei aus dem Realismus

Marianne von Werefkin:  Rote Stadt" (1909)
Expressionistische Landschaftsmalerei

Hans Thoma: "Selbstportrait" (1871)
Ein Porträt aus dem Realismus

Alexej von Jawlensky: "Länglicher Kopf in Braunrot" (1913)

Expressionistische Bilder

Ernst Ludwig Kirchner: "Eine Künstlergruppe" (1926/27)

Ludwig Meisner: "Das Eckhaus" (1913)

Heinich Campendonk: "Bukolische Landschaft" (1913)


Otto Dx: "Prager Straße" (1920)

Lyonel Feininger: "Marktkirche in Halle" (1930)

Die Blütezeit des Expressionismus lag zwischen 1910 und 1915. Doch die neue Art des Wahrnehmens und Darstellens prägte die Kunstszene nachhaltig. Bis in die 1930er Jahre hinein wurden expressionistische Bildnisse gemalt. In den Goldenen Zwanzigern wurde Berlin zum Treffpunkt Expressionisten. Hier trafen sich die modernen Künstler, sogen das Großstadtleben in sich auf und inspirierten sich gegenseitig.