Der Volksempfänger
Goebbels' beste Idee war der Volksempfänger*
Vor 80 Jahren wurde auf der Berliner Funkausstellung das erste Radio für den Massenmarkt vorgestellt. Es erwies sich als perfektes Machtinstrument für die Nationalsozialisten.
Ein „Hausaltar“ nach NSDAP-Vorstellungen: Hitler- und Goebbels-Porträt, dazwischen ein Volksempfänger „VE-301“. Dieses Propagandafoto entstand 1933 im Zusammenhang mit der Einführung des günstigen Radios
Der Masse ins Gehirn kriechen: Das ist die kürzeste, gleichwohl präzise Definition von Propaganda. Sie zielt immer auf große Mengen von Menschen. Politische Agitation soll nicht nur rational wirken, sondern auch emotional. Und sie muss alltäglich sein, ja allgegenwärtig, um volle Wirkung zu entfalten.
Als Anfang 1933 die erste Regierung Hitler ins Amt kam, gab es in ganz Deutschland etwas über vier Millionen registrierte Rundfunkhörer. Selbst wenn man ihre Familien mitrechnet, erreichte das erst zehn Jahre alte Medium also höchstens ein Viertel der damaligen Bevölkerung. Viel zu wenig für die Zwecke von Hitlers Chefpropagandist Joseph Goebbels.
Der wichtigste Grund für die relativ geringe Verbreitung von Radios waren die Kosten: Neben der monatlichen Gebühr von zwei Reichsmark, die bei einem durchschnittlichen Bruttomonatseinkommen um 200 RM schon erheblich war, fielen vor allem Anschaffungskosten für den Hörfunkempfänger an. Für die Geräte, die bis 1933 auf dem Markt waren, lagen die Preise bei 300 bis hinauf zu 600 RM.
Einheitsradio für Arbeiter
Anderthalb bis drei durchschnittlich Monatsbruttolöhne für ein Radio? Das konnten sich gerade jene Bevölkerungsschichten nicht leisten, an die Goebbels mit seiner Propaganda unbedingt heran wollte: die vormaligen Anhänger und Wähler der Arbeiterparteien SPD und KPD.
Deshalb lag es nahe, dass Goebbels unmittelbar nach dem ersten Schritt, der Gleichschaltung der ohnehin staatlichen zehn deutschen Sendeanstalten, einen einfachen und damit preisgünstigen Empfänger in Auftrag gab. Schon seine Typbezeichnung „VE-301“ zeigte die propagandistische Stoßrichtung: „VE“ stand für „Volksempfänger“ und „301“ für den 30. Januar 1933, den Tag der Machtübernahme der Nazis.
Vor 80 Jahren, als Höhepunkt der 10. Großen Funkausstellung auf dem Berliner Messegelände, wurde das Modell der deutschen Öffentlichkeit vorgestellt. Die Radiofabrik Seibt AG hatte den Apparat in wenigen Wochen entwickelt.
Billige Ausführung
Verglichen mit anderen Radios der Zeit war es ganz einfach aufgebaut: Das Gehäuse bestand aus gegossenem Bakelit, einem frühen Kunststoff, statt aus kunstvoll ziseliertem und verziertem Holz. Der Lautsprecher hatte eine Membran von geringer Qualität und eine Bespannung aus grobem Stoff statt aus fein gesponnener Baumwolle.
Die technische Ausstattung war ebenfalls einfach: Genau drei Röhren bildeten Empfänger und Verstärker. In hochwertigen Geräten konnten bis zu sechsmal so viele Glaskolben verbaut sein, die für besseren Empfang und vor allem Klang sorgten.
Fest eingestellt auf einen bestimmten Propagandasender war der Volksempfänger dagegen nicht: Genau wie jedes andere Radio konnte auch der „VE-301“ auf verschiedene Frequenzen abgestimmt werden.
Mindestens zwei Sender
Das musste er schon deshalb sein, weil Goebbels in der Ausschreibung verlangt hatte, das mit dem Volksempfänger mindestens zwei verschiedene Radioprogramme zu empfangen sein müssten. Da aber die lokalen Sender und der nationale Deutschlandsender auf unterschiedlichen Frequenzen ausstrahlten, musste die Einstellung möglich sein.
Trotz der kurzen Entwicklungszeit hatten die Seibt AG und andere Radiofabriken schon zur Funkausstellung die ersten 100.000 Geräte hergestellt. Sie wurden für einen reinen Kostenpreis von 76 RM noch während des Messe verkauft.
Eine weitere halbe Million Volksempfänger wurde bis Ende des Jahres verkauft, darunter auch eine batteriebetriebene Version ohne Netzteil für 65 RM. Im Schnitt wurden 1933 bis 1938 jedes Jahr eine Million „VE-301“ produziert, nach dem einheitlichen Plan des Entwicklers.
Koffer-Version
Zu den Olympischen Spielen 1936 kam ein weiteres Modell heraus, der „Olympia-Koffer“, ein mobiler Volksempfänger. 1938 schließlich brachte die deutsche Elektronikindustrie ein noch einfacheres Radio heraus, den „Deutschen Kleinempfänger 1938“, kurz „DKE-1938“ für 35 RM. Im Volksmund bekam das Gerät rasch den Namen „Goebbels-Schnauze“, obwohl auch fast alle Hitler-Reden übertragen wurden.
Das war nicht ganz unberechtigt, denn der Propagandaminister nutzte die billigen Geräte ausgiebig zur Selbstdarstellung. Mit seinen Reden, aber auch, indem er sich als Wohltäter darstellte. Am 18. März 1938, gerade war Österreich „heim ins Reich“ gekommen, notierte Goebbels in sein Tagebuch: „Ich stifte für Österreich 30.000 Volksempfänger.“
Zu seinem 41. Geburtstag Ende Oktober 1938 ließ er 500 Radios in Berlin verteilen, und ein Jahr später schickte Goebbels dann 1500 Volksempfänger an die Front. Bezahlt wurden diese Geschenke übrigens aus Mitteln seines Ministeriums, obwohl in der gleichgeschalteten Presse mitunter der Eindruck erweckt wurde, der Minister persönlich habe in die Tasche gegriffen.
Hohe Gebühren
Bis 1939 hatte sich die Zahl der registrierten Hörfunknutzer in Deutschland praktisch verdoppelt. Weil auch viele Gemeinschaftsräume mit Empfänger ausgestattet worden waren, konnte nun praktisch jeder Deutsche Radio hören. Die Gebühren allerdings waren nicht gesenkt worden, entgegen einem Wahlversprechen der NSDAP. Schon vor, aber erst recht im Zweiten Weltkrieg waren Radios die einzige Möglichkeit in Deutschland, sich einigermaßen unabhängige Informationen zu verschaffen. Vor allem das deutschsprachige Programm der BBC wurde viel gehört, obwohl darauf schwere Strafen standen. So oft wie möglich sendete die BBC auf Frequenzen, die mit den massenhaft vorhandenen Volksempfängern gehört werden konnten. Doch ihre einfache Konstruktion führte zu eher schlechtem Empfang. Gut und dank Kopfhöreranschluss einigermaßen sicher „Feindsender“ hören konnte man sich nur mit hochwertigen, teuren Radios.
Gestapo-Warnungen
Vielleicht war auch das ein Grund für Goebbels ärgerliche Tagebuchnotiz am 5. Februar 1941: „Wir fabrizieren zu viel Marken- und zu wenig Volksempfänger. Deshalb auch die totale Leere auf dem Rundfunkmarkt. Ich ändere das.“
Allerdings wirkte sich das jedenfalls kurzfristig nicht aus. Anfang April 1941 berichtete die Gestapo in einer geheimen „Meldung aus dem Reich“ über verbreitete Unzufriedenheit in der Bevölkerung: „Vor allen Dingen fehlen die billigen Apparate fast völlig. Insbesondere seien Volksempfänger kaum noch lieferbar, obwohl die Nachfrage besonders stark sei. Die vom Großhandel gelieferten Geräte seien durchweg sehr teuer und kämen für die breite Masse des Volkes nicht in Frage.“
Goebbels selbst betonte den Erfolg seines Projekts Volksempfänger gern und oft. Weil es naturgemäß keine unabhängige Überprüfung der realen Hörerzahlen gab, darf man dieses Selbstlob nicht für bare Münze nehmen. Doch feststellen darf man trotzdem: Von allen Einfällen des diabolischen, aber hochintelligenten Propagandisten war der Volksempfänger mit Sicherheit eine der besten, wenn nicht die beste.
Wenige Tage vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs besuchte Joseph Goebbels im August 1939 die Funkausstellung in Berlin. Links der Volksempfänger Baujahr 1938, dem der Volksmund den Beinamen „Goebbels-Schnauze“ gab