Die Angliederung des Sudetengebietes
Die Vorgeschichte
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges zerfiel das riesige Kaiserreich Österreich-Ungarn in viele kleine Einzelstaaten. Einer davon war die Tschechoslowakische Republik ČSR. In dieser lebten viele Völker, u.a. Tschechen, Slowaken und Deutsche zusammen, wobei Deutsche mit 22,5% zu den Minderheiten gehörten.
Sie waren am Rand der ČSR angesiedelt und bildeten eine Art Kranz entlang der Außengrenze. In Abgrenzung zu den Tschechen und Slowaken entwickelten die Deutschen ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl. Sie bezeichneten sich selbst als „Sudetendeutsche“, was sich auf den Gebirgszug „Sudeten“ bezog, in dem sie angesiedelt waren.
Die Deutschen in der ČSR
Entgegen dem Gefühl des Ausgegrenztseins hatten die Deutschen in der ČSR alle Bürgerrechte. Sie konnten sich auf fast allen Ämtern in ihrer Muttersprache verständigen und, wenn sie Tschechisch sprachen, sogar Beamte werden. Außerdem waren sie mit eigenen Parteien im tschechoslowakischen Parlament vertreten.
Nach der Machtergreifung Hitlers wurde in der Tschechoslowakei die SdP (Sudetendeutsche Partei) gegründet, die von Konrad Henlein geführt wurde. Diese Partei stand erst auf dem demokratischen Boden der ČSR und akzeptierte die Regeln dieses Landes.
Zunehmend geriet die SdP aber unter den Einfluss der deutschen NSDAP und bekannte sich ab 1937 offen zum Nationalsozialismus, so dass Hitler nun eine direkte Interessenvertretung im tschechoslowakischen Parlament hatte.
Geografisch gesehen war die Hälfte der ČSR, nachdem Österreich an das Deutsche Reich angegliedert wurde, bedrohlich vom Deutschen Reich umschlossen.
Die Tschechoslowakei (rot), das Sudetengebiet (schwarz schraffiert)
Hitlers Plan
Schon zu Beginn des Jahres 1938 war für Hitler klar, dass er den Anschluss der sudetendeutschen Gebiete und später die Zerschlagung der ČSR in Angriff nehmen musste.
Dafür gab es mehrere Gründe:
- Erstens konnte er durch den Anschluss Sudetendeutschlands seine Macht in Osteuropa weiter festigen.
- Zweitens hatte die ČSR ein Bündnis mit Frankreichs und Großbritannien. In den geplanten Krieg gegen Frankreich und Großbritannien hätte eine starke ČSR für Hitler zur „Rückenbedrohung“ werden können.
Bewusste Provokation
Am 28. März 1938 traf Hitler sich mit Konrad Henlein und instruierte diesen, nun immerzu Forderungen an die tschechoslowakische Regierung zu stellen, und zwar solche Forderungen, die diese unmöglich annehmen könne (z.B. einen eigenen Verwaltungsapparat).
Dadurch wurde eine Krise regelrecht herbeigeführt, auf deren Höhepunkt Hitler dann die Abtretung des Sudetengebietes forderte.
Daraufhin bereitete sich die Tschechoslowakei auf einen Krieg mit dem Deutschen Reich vor. Dieser konnte aber zunächst von Frankreich und Großbritannien abgewendet werden. Hitler blieb aber bei seiner Forderung, das Sudetengebiet müsse abgetreten werden und bereitete die Wehrmacht auf einen Einmarsch in der ČSR vor.
Hitler bekräftigte nun wiederholt, das Sudetengebiet wäre seine letzte territoriale Forderung.
Britische Vermittlungsversuche
Der britische Premierminister Arthur Neville Chamberlain nahm in diesen Tagen eine erhöhte Kriegsgefahr wahr und sah sich in der Verantwortung, alles zu tun, um den Frieden zu wahren.
Für dieses Ziel war Chamberlain sogar bereit, auf Hitlers Forderungen einzugehen.
In einem persönlichen Gespräch bot er sich als Vermittler an und akzeptierte die Angliederung des Sudetengebietes an das Deutsche Reich.
Chamberlain musste aber schnell einsehen, dass er den Krieg damit noch lange nicht abgewendet hatte. Denn Hitler plante weiter einen Einmarsch der Wehrmacht in der ČSR.
Das Münchner Abkommen
Also ging Chamberlain nun noch weiter auf Hitler zu. Er holte zwei weitere europäische Machthaber „ins Boot“: den italienischen Diktator Mussolini und den französischen Premierminister Edouard Daladier. Alle vier (Hitler, Chamberlain, Mussolini und Daladier) trafen sich am 29. September 1938 in München zur endgültigen Klärung der Sudetenfrage. Vertreter der Tschechoslowakei waren nicht eingeladen.
Das Münchner Abkommen legte die Abtretung des Sudetengebietes an das Deutsche Reich fest. Im Gegenzug garantierten Frankreich und Großbritannien den Bestand des tschechoslowakischen Reststaates. Die Tschechoslowakei hatte selbst keine Mitspracherechte über ihren Verbleib und hatte sich den Beschlüssen des Abkommens zu fügen. Der genaue Grenzverlauf war nicht Teil des Abkommen und sollte später geregelt werden.
Hitler unterzeichnet das Münchner Abkommen
"Nie wieder Krieg in Europa"
Chamberlain war sehr erleichtert, durch sein Verhandlungsgeschick den Krieg abgewendet zu haben. Nach seiner Heimkehr in London empfingen ihn seine Landsleute jubelnd, Chamberlain rief ihnen zu: "Nie wieder Krieg in Europa". Die britische Appeasementpolitik (appease = beschwichtigen) ging in die Geschichte ein.
Der Einmarsch der Wehrmacht
Am 1. Oktober 1938 zogen Wehrmachtseinheiten in die Sudetengebiete ein. Nach zehn Tagen war das ganze Sudetengebiet von Wehrmachtssoldaten durchsetzt. Der Einmarsch der Wehrmacht wurde für Propaganda genutzt und als Teil der siegreichen Außenpolitik dargestellt. Die Sudetendeutschen begrüßten die Wehrmachtstruppen begeistert.
Für diejenigen Deutschen, die vor Hitler ins Sudetengebiet geflohen waren, war der Einmarsch weniger erfreulich. Sie versuchten, schnell weiter ins Landesinnere der ČSR zu fliehen. Ca. 20 000 geflohene Mitglieder der KPD und der SPD wurden verhaftet.
Weitere Maßnahmen
Am 7. Oktober wurde der neue Grenzverlauf zwischen der verkleinerten ČSR und dem Deutschen Reich festgelegt. Die neue Grenze zerschnitt wichtige tschechische Verkehrsadern und ging auch durch Orte, die nur von Tschechen bewohnt wurden. 400 000 Tschechen flohen ins Landesinnere. Das annektierte Gebiet wurde als Reichsgau Sudetenland ins Deutsche Reich „aufgenommen“, Reichskommissar wurde Konrad Henlein.
Und wieder wurde die Gleichschaltungsmaschinerie in Gang gesetzt: Alle bestehenden Verbände wurden zerschlagen, alle Bevölkerungsgruppen wurden durch die NS-Organisationen erfasst. Parteien wurden entweder verboten oder in die NSDAP eingegliedert. Nach dem bewährten Muster wurde die Presse unter staatliche Kontrolle gebracht.
Einmarsch der Wehrmacht an der deutsch-tschechoslowakischen Grenze
Die Zerschlagung der Resttschechei
Mit der Übernahme des Sudetengebietes gab sich Hitler, entgegen aller Beteuerungen, nicht zufrieden.
Er hatte von Anfang vor, die gesamte Tschechei anzugliedern und verfolgte weiter dieses Ziel. Er hatte leichtes Spiel, denn nach der Angliederung des Sudetengebietes ans Deutsche Reich lagen nun alle Wehranlagen der Tschechen auf deutschem Gebiet. Also war es ihnen kaum noch möglich, sich gegen die deutschen Expansionspläne zu wehren.
Hitler nutzte nun Unstimmigkeiten zwischen den Tschechen und den Slowaken aus, um das Land weiter zu spalten. Er bestärkte die Slowaken darin, ihren Austritt aus der Tschechoslowakei bekanntzugeben. Danach bestellte Hitler den tschechischen Staatspräsidenten und den Außenminister nach Berlin und setzte den beiden die Pistole auf die Brust: Entweder sie legen "das Schicksal des tschechischen Volkes vertrauensvoll in die Hände des Führers", ansonsten drohen der Einmarsch der Wehrmacht und die Bombardierung Prags. Der tschechischen Staatsführung blieb nichts anderes übrig, als den vorgelegten "Protektoratsvertrag" zu unterzeichnen. Während die Gestapo damit begann, in der ehemaligen Tschechei deutsche Emigranten aufzuspüren und zu verhaften, verkündete Hitler in Prag die Errichtung des "Reichsprotektorats Böhmen-Mähren". Konstantin Freiherr von Neurath wurde zum "Protektor" ernannt.
Den "Schutz" der Slowakei übernahm Hitler höchstpersönlich. Sie wurde ein Satellitenstaat des Deutschen Reiches.
Damit brach Hitler die Bestimmungen des Münchner Abkommens. Die internationale Lage spitzte sich weiter zu. Der Krieg rückte immer näher.
Aufgaben:
(in Stichpunkten)
1. Erkläre, was "Sudetengebiet" bedeutet.
2. Warum war es für Hitler wichtig, das Sudentengebiet einzunehmen?
3. Erkläre die Rolle des britischen Premierministers A.N. Chamberlain in der Sudetenfrage: Was tat er und warum tat er es?
4. Was war der Inhalt des Münchner Abkommens?
5. Wie genau lief die Angliederung des Sudetenlandes ab?
6. Wie ging es nach der Angliederung des Sudetenlandes weiter?
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Quelle: LEMO und Wikipedia