Aus dem Schulalltag...



Über den Schulweg des Kindes

Erika Mann beschrieb 1938 in ihrem Buch "10 Millionen Kinder. Die Erziehung der Jugend im Dritten Reich.", wie übermächtig der Hitlergruß im Alltag eines Kindes war:
"Die Kinder sagen „Heil Hitler“ 50 bis 150 mal am Tag. Die Grußformel, die Gesetz ist, wird unvergleichlich öfter ausgesprochen als jedes neutrale oder religiöse „Guten Tag“ oder „Grüß Gott“ je vorher. Man grüßt mit „Heil Hitler“ die Kameraden auf dem Schulweg, mit „Heil Hitler“ beginnt und schließt jede Unterrichtsstunde, „Heil Hitler“ sagt der Postbote, der Trambahnschaffner, das Fräulein im Laden, wo man die Hefte kauft. Rufen am Mittag die Eltern daheim nicht alsbald „Heil Hitler“, so machen sie sich strafbar, und man könnte sie anzeigen. „Heil Hitler“ schreien die Jungens im „Jungvolk“ und in der „Hitlerjugend“, und „Heil Hitler“ die Mädchen im „Bund Deutscher Mädel“. – Mit „Heil Hitler“ wird auch das kindliche Abendgebet schließen, wenn das Kind seine Verpflichtungen irgend genau nimmt.“*

 
Erika Mann beschrieb auch exemplarisch, wie der Schulweg eines Kindes aussah:

„Das Kind verläßt am Morgen mit „Heil Hitler“ das Haus. Auf der Treppe begegnet es dem „Blockwart“. Der „Blockwart“ ist eine hochgestellte, sehr gefährliche Persönlichkeit; die Regierung hat den „Blockwart“ eingesetzt, als Nazi-Aufpasser und -Kontrolleur für den Block, in welchem man lebt, - er hat regelmäßig Bericht zu erstatten über die Führung der Haus- und Blockbewohner. Es lohnt sich, für den „Blockwart“ militärisch Front zu machen und den Arm zum „großen“ Hitlergruß zu recken. Draußen hängen Flaggen an den Fenstern, - Nazi-Flaggen natürlich, rot, mit dem Hakenkreuz. Das Kind fragt nicht weswegen. „Irgendein nationaler Anlaß“, denkt es, und es weiß, daß  keine Woche vergeht, ohne daß alle Menschen ihr Hakenkreuz zum Fenster hinaushängen müssen, - es ist Vorschrift bei nationalen Anlässen, - nur die Juden sind ausgenommen, denn die Juden sind keine Deutschen, sie gehören nicht zur „Nation“, und deshalb gibt es für sie auch keine „nationalen Anlässe“. Auf dem Schulweg begegnen viele Uniformierte dem Kind, die schwarzen „SS-Leute“, Männer vom „Freiwilligen Arbeitsdienst“ und „Reichswehrsoldaten“. (…)

Irgendwo ist eine Baustelle. Die Arbeiter sind heut nicht am Platz, - wegen des „nationalen Anlasses“.  Aber am Gerüst ist, heut wie immer, das Schild zu sehen: „Daß wir hier arbeiten, verdanken wir dem Führer. Heil Hitler“. Das Kind kennt das Plakat. Es kennt ungezählte solcher Plakate. Überall, wo gearbeitet wird, an Straßen, Kasernen, Sportplätzen, kann man es lesen: „Daß wir hier arbeiten, verdanken wir dem Führer. Heil Hitler“. (…)

Vorbei an Restaurants, Hotels, Hallenschwimmbädern führt sein Schulweg das Kind. Auch hier sind Aufschriften angebracht, aber sie heißen: „Juden sind hier unerwünscht“, - „Nicht für Juden!“ Was fühlt das Kind beim Anblick solcher Plakate? Zustimmung? Auflehnung? Freude? Ekel? Gewiß nicht. Diese Plakate kennt das Kind seit beinahe fünf Jahren. „Natürlich“, denkt das Kind“, freilich doch, Juden ist der Eintritt verboten.“ Weiter denkt es nichts. Zu stark sind die Gegebenheiten, zu altgewohnt bereits das Bild. Fünf Jahre im Leben eines neunjährigen Kindes, denn die ersten vier Jahre sind Babyjahre, - erst mit dem fünften etwa beginnt die eigentliche, bewußte und wachsame Existenz.

Das Kind geht durch die Nazi-Straßen als ein Nazi-Kind. Nichts dort ist ihm auffällig, nichts der Erwähnung wert, oder gar der Kritik. Daß an den Zeitungskiosken beinahe nur noch Nazi-Zeitungen verkauft werden, ist selbstverständlich. Alle deutschen Blätter sind Nazi-Blätter und alle ausländischen sind verboten, soweit ihr Charakter irgend unerwünscht ist den Nazi-Machthabern. Das Kind blickt auf die schreienden Überschriften, ohne sich zu verwundern."*


Über den Alltag an einer Berufsschule

Im Rahmen einer Belegarbeit interviewte Martin Schöbel, Schüler einer 12. Klasse, im Jahr 2005 die damals 82-jährige Frau Komfort über ihre Schulzeit an einer Berufsschule in Dresden im Jahr 1938. Martin Schöbel fasst die Antworten der Frau Komfort zusammen:

„Frau Komfort besuchte die Schule, die zu der Zeit nur als "Ehrlichstraße" bekannt war. Sie war Berufsschülerin und lernte Verkäuferin. Ihre praktische Ausbildung machte sie bei Möbius. Möbius war ein Bekleidungsgeschäft in der Innenstadt Dresdens. Leider wurde dieses Geschäft bei den Bombenangriffen auf Dresden vollständig zerstört. Wie heute verbrachte Frau Komfort zwei Tage in der Schule und drei Tage in ihrem Ausbildungsbetrieb. Sie war beliebt bei ihren Mitschülerinnen, aber auch bei den Lehrern war sie gern gesehen. In der Schule erbrachte sie durchschnittliche bis gute Leistungen. Der Schultag fing 8:00 Uhr an und ging in der Regel bis 13:00 Uhr. Es kam aber auch manchmal zu Unterricht am Nachmittag, bis gegen 16:00 Uhr. Auch zur damaligen Zeit gab es schon Freistunden. Das war jedoch etwas schwieriger als heute, weil es keine Aufenthaltsräume gab. Es gab nur eine Kantine, wo es Essen und Milch zu kaufen gab. Dort durfte man aber nur sitzen, wenn man etwas gekauft hatte. Wenn man fertig mit Essen war, musste man seinen Platz verlassen. Es war nicht so einfach wie heute, wo man einfach mal so in die Stadt gefahren ist, um ein bisschen einkaufen zu gehen. Das Geld war sehr knapp zu der Zeit. (…)
Frau Komfort hatte einen sehr strengen Vater. Sie musste ihre Hausaufgaben am Küchentisch in Anwesenheit ihres Vaters erledigen, der diese auch kontrollierte. Er half ihr aber auch, wenn sie mal nicht zurecht kam. Ihr Vater war kein Befürworter Hitlers. Deshalb verbot er auch Frau Komfort, in irgend eine Jugendvereinigung der Nationalsozialisten einzutreten.“
 
Über die Lehrer:
„Der Direktor der Schule war ein ehemaliger General, der keine militärischen Dienste mehr leisten konnte. Er wurde dieser Schule zugewiesen und sollte so seinen restlichen Dienst leisten. Er erschien jeden Tag in Uniform. Schon früher war es so, dass die Klassen nicht nur einen Lehrer hatten, sondern viele verschiedene, die ihre Fächer unterrichteten. Genau wie heute gab es auch damals gute, schlechte, strenge und lustige Lehrer. Jedoch unterschieden sich die Lehrer in der Nazizeit in manchen Dingen von den heutigen Lehrern. Es gab Lehrer, die große Anhänger des Nazi-Regimes waren und dies auch deutlich zeigten. Aber es gab auch Lehrer, die trotz dieser Zeit ihre Person nicht veränderten und dem normalen Schulalltag treu blieben.
Die nationalsozialistischen Lehrer kamen immer in Uniform. Sie verlangten zur Begrüßung und zur Verabschiedung den Hitlergruß. Wenn man sich weigerte, mit dem Hitlergruß zu grüßen, bekam man eine Strafe. Die Strafen waren ganz unterschiedlicher Natur, vom einfachen Schreiben von Verboten bis zur Strafe durch den Rohrstock.
Ja, die Lehrer machten zu dieser Zeit noch Gebrauch von einem Rohrstock. Aber dies war nicht sehr häufig der Fall. Besonders harte Strafen waren bei großen Vergehen Tadel, die von den Lehrern gegeben wurden. Diese Strafen waren sehr hart, da dieser Tadel als Bemerkung in die Schulakte kam. Man musste den Tadel auch von den Eltern unterschreiben lassen, was zu der Zeit schwerer war als man denkt. Die Eltern waren dann meist so enttäuscht, dass sie ihre Kinder noch zusätzlich bestraften mit Hausarrest oder ähnlichen Dingen.
Als kleinere Schulstrafe bekam man oft ein langes Gedicht zum Auswendiglernen und Vortragen auf. Es gab auch Lehrer, die sehr streng und dadurch nicht sehr beliebt waren, die aber sehr guten Unterricht hielten. Ein solcher Lehrer war Herr Schröder, der Erdkundelehrer. In seinem Unterricht war absolute Ruhe und es hätte sich auch niemand getraut zu schwatzen oder Blödsinn zu machen. Die Schüler, darunter auch Frau Komfort, hatten sehr großen Respekt, aber auch etwas Angst vor diesem Lehrer. Aber man lernte sehr viel bei ihm, da er sehr kompetent war. (...)


Über den Unterricht:
„Der Unterricht fand wie heute ganz normal im Klassenverband von etwa 30 Schülern statt. Der Unterschied von damals zu heute ist nur, dass Jungen und Mädchen getrennt wurden. Es gab also reine Mädchenklassen und reine Jungenklassen. Die zwei Geschlechter hatten also nur die Chance, in Pausen aufeinander zu treffen und sogar da war es schwierig. (…)
Eine Möglichkeit gab es noch, dass Mädchen auf Jungen trafen. Es kam öfters zu zentralen Schulexkursionen, an denen alle Klassen der Schule teilnahmen. Hier war es möglich, dass sich die Jungs unter die Mädchen mischen konnten. Diese Schulexkursionen fanden anstatt des normalen Unterrichts statt und waren meist Wanderungen, die bis in die Sächsische Schweiz gingen. Es wurden aber auch eine Menge kulturelle Veranstaltungen wahrgenommen wie Opernbesuche, Kinobesuche oder Ausflüge zur Felsenbühne Rathen.
Die Schüler wurden in vielen verschiedenen Fächern unterrichtet. Frau Komfort konnte sich noch an Fächer erinnern, die es noch heute gibt, wie Mathematik, Biologie, Latein, Schönschrift, Deutsch und Religion. Sie nannte mir aber auch Fächer, die man heute nicht mehr unterrichtet, wie Stoffe, Schuhe und Kleidung.
Es gab damals wie heute Zensuren von 1 (sehr gut) bis 6 (ungenügend). Jedoch kam es sehr selten vor, dass die Zensur 6 erteilt wurde. Das ist darauf zurückzuführen, dass es zu der Zeit noch etwas strenger zuging als heute. Die Eltern waren auch strenger und haben viel mehr auf die schulischen Leistungen geachtet. Außerdem hätte man sich früher nie getraut, die Hausaufgaben nicht zu machen oder nicht zu lernen. Der Respekt vor den Lehrern war viel größer und das spiegelt sich natürlich auch in den Leistungen der Schüler wieder. Die Klassen waren auch durch die Geschlechtertrennung disziplinierter, da keine Jungs da waren, die die Mädchen hätten ablenken können.
Auf den Zeugnissen wurde natürlich auch Kopfnoten vergeben. Diese wurden in die gleichen Kriterien eingeteilt wie heute, in Betragen, Ordnung, Mitarbeit und Fleiß. Die Kopfnoten fielen auch zum größten Teil sehr gut aus, da man sich nicht traute, ein Zeugnis mit schlechten Kopfnoten nach Hause zu bringen."


Über Pausen und Ferien:
„Pausen zwischen den Unterrichtsstunden gab es schon immer, damals wie heute. Es gab viele kleine Pausen, die 10 Minuten gingen. Dann gab es die Frühstückspause, die 20 Minuten ging, und die Mittags- oder Hofpause, die 30 Minuten andauerte.
Die Pausen verliefen anders als in der heutigen Zeit. Heute nutzt man die Pausen, um sich mit Freunden zu unterhalten oder in eine andere Klasse zu gehen, um jemanden zu treffen. In den Pausen erholt man sich vom Unterricht. Die Lehrer verlassen meistens auch das Unterrichtszimmer.
Um 1938 war das anders. In den kleinen Pausen verließ man das Unterrichtszimmer nicht, außer man musste auf die Toilette. Man bereitete sich auf die nächste Stunde vor. Der Lehrer blieb in diesen Pausen fast immer im Unterrichtsraum. Man hatte also keine Chance, in irgend einer Form rumzublödeln oder ähnliches. Natürlich kam es vor, dass einmal eine Schülerin aus der Reihe tanzte, aber das wurde meist mit einer Strafe geahndet.
In der Frühstückspause war es etwas lockerer, man durfte sich in einer angemessenen Lautstärke unterhalten und frühstücken. Das Zimmer durften sie jedoch immer noch nicht verlassen. Der Lehrer verließ das Zimmer meistens nicht, aber das kam auf den Lehrer an. Manche Lehrer zogen es vor, im Lehrerzimmer zu frühstücken.
Zur Mittags- bzw. Hofpause mussten die Schüler auf den Schulhof und dort Runden laufen. Dies beaufsichtigten meist zwei bis drei Lehrkräfte. Ausnahmen gab es nur, wenn es stark regnete oder schneite. In diesen Ausnahmefällen durften keine Schüler auf den Hof, da keine Lehrer zur Aufsicht auf dem Hof waren. Die Hofpause war die einzige Pause, in der es möglich war, dass sich Jungen und Mädchen begegneten. Natürlich wurde diese Pause dementsprechend genutzt, um sich mit den Jungen zu unterhalten oder sogar zu verabreden für den Nachmittag.
Ferien gab es natürlich auch. Zu diesen zählten die Sommerferien, die Winterferien, die Weihnachtsferien, die Osterferien und die Kartoffelferien, was heute die Herbstferien sind. Die Ferien von damals unterscheiden sich kaum von den heutigen.“

Quelle:
https://www.bsz-gast-dd.de/history/1930er/schulalltag.htm