Mauerbau
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Während die Menschen im Westen in der Mitte der 50er Jahre das Wirtschaftswunder feierten, wurden die DDR-Bürger bis 1958 noch mit Lebensmittelkarten versorgt. Die Abschaffung dieser Karten war für 1950 geplant, musste aber immer wieder verschoben werden.
Die Aufbruchstimmung aus den ersten Jahren der neu gegründeten sozialistischen Republik war längst verflogen. Stillstand, Hinhalteparolen und Mangel bestimmten das Leben der Menschen im Osten. Viele sahen keinen anderen Ausweg, als in den Westteil Deutschlands zu fliehen.
Mit dem Zug nach Westberlin
Wie gelangte man als DDR-Bürger in den 50er Jahren überhaupt in den Westen? Die Landesgrenze war zu dieser Zeit schon bewacht, vermient und mit Selbstschussanlagen gesichert, so dass ein Überwinden hochriskant und kaum möglich war.
Am ehesten kam der DDR-Bürger mit dem Zug in den Westen, und zwar so: Man kaufte eine reguläre Bahnfahrtkarte und fuhr damit in die Hauptstadt Berlin. Dort überschritt man die Sektorengrenze und meldete sich in Westberlin als politischer Flüchtling.
Weil von dieser Möglichkeit tausende Menschen Gebrauch machten, wurde es für die DDR-Regierung notwendig, diese eigentlich legalen Zugreisen zu erschweren - und zwar so:
In jedem Zug gab es ein „Zugbegleitkommando“ aus 5 bis 7 Personen, die alle Mitfahrenden überprüften. Sie durchkämmten Abteil für Abteil, kontrollierten Personalausweise und erfragten den Zweck der Reise. Wenn man einen persönlichen Besuch als Grund der Reise anführte, musste man Namen und Adresse der besuchten Person angeben. Die Angaben wurden zum Teil überprüft. Wer beruflich reiste, musste eine Dienstreisegenehmigung vorweisen, wer einen Familienurlaub vorhatte, musste den Nachweis eines FDGB-Heimes oder eine Hotelanmeldung mit sich führen.
Während ein Sicherheitsbeauftragter die Personalausweise kontrollierte, überprüfte der andere, ob der Reisende im polizeilichen Fahndungsbuch steht.
Oftmals mussten Reisetaschen und Koffer geöffnet werden. Es kam auch zu Leibesvisitationen. Hoch verdächtig war, wer westliche Gegenstände mit sich führte. Auch wer mehr persönliche Dokumente als den Personalausweis bei sich hatte, wurde des Fluchtversuches verdächtigt. Neue Schuhe, Ersatzteile und Medikamente wurden beschlagnahmt, damit diese Dinge nicht im Westen verkauft werden konnten. Auch die Geldbörsen wurden kontrolliert. 50 Ostmark durfte der Reisende dabei haben, größere Summen machten ihn verdächtig. Das Mitführen von Westgeld war grundsätzlich verboten. Größere Mengen Westgeld hatten eine sofortige Festnahme zur Folge. Der Reisende wurde dann am nächsten Bahnhof der Bahnpolizei übergeben.
Sehr häufig kam es zu vorübergehendem Einzug des Personalausweises. Der Reisende wurde dann aufgefordert, am nächsten Bahnhof auszusteigen und wieder nach Hause zu fahren. Dort konnte er seinen Ausweis nach 8 Tagen auf dem Volkspolizeikreisamt wieder abholen, allerdings erst nach einer umfangreichen Befragung. Erhärtete sich dabei der Verdacht des Fluchtwunsches, wurde nur ein Ausweis-Ersatzpapier ausgestellt, das nicht für Berlinreisen galt.
Unabhängig von den Kontrollen in den Zügen führten Staatssicherheit und Volkspolizei ab 1957 flächendeckende Kontrollen im ganzen Land durch, um Fluchtabsichten noch früher zu erkennen.
Verdächtig war,
- wer in der Zeitung Wohnungsauflösungen und Möbelverkäufe inserierte,
- wer größere Einkäufe tätigte (das Verkaufspersonal musste bei "größeren Einkäufen" die persönlichen Angaben des Käufers erfassen) und
- wer größere Mengen Bargeld abhob.
In all diesen Fällen folgten Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen gegen die betroffene Person.
„So legte sich ein Netz der Kontrolle und des Misstrauens über das Land, das die Fluchtbereitschaft letztlich nur noch steigerte.“ (Stefan Wolle*).
Das Problem mit den Grenzgängern
Ungefähr 50 000 Ostberliner arbeiteten auch nach der Teilung der Stadt im Westsektor. Das konnte daran liegen, dass sie auch vor 1945 in dem jeweiligen Betrieb gearbeitet hatten. Das lag bei vielen auch daran, dass im Westen höhere Löhne gezahlt wurden oder das ein Teil des Lohnes in Westgeld ausgezahlt wurde. Eigentlich kein Problem – denn die Bestimmungen der Alliierten auf der Potsdamer Konferenz erlaubten ausdrücklich die freie Wahl des Arbeitsplatzes, also das Arbeiten im anderen Teil der Stadt. Die sogenannten „Grenzgänger“ machten nichts Verbotenes.
Doch die DDR störte sich zunehmend an ihnen. Immer öfter wurden sie in einem Atemzug mit Kriminellen und „Asozialen“ genannt. Warum waren Grenzgänger ein Problem? Erstens brauchte die DDR dringend Arbeitskräfte. Der Grenzgänger verwehrte der DDR seine Arbeitskraft. Zweitens zahlte er im Ostteil keine Lohnsteuer. Drittens entging der Grenzgänger der sozialistischen Gehirnwäsche, die in den DDR-Betrieben an der Tagesordnung war. Kurz gesagt: Das Grenzgängertum sollte aufhören!
Weil ein Verbot nicht möglich war, setzte die DDR auf Hetze und Schikane. Jeder Grenzgänger sollte solange schikaniert werden, bis er von sich aus eine Arbeit im Osten annahm.
Das waren die Maßnahmen:
1953:
Jeder Grenzgänger hatte sich auf dem Arbeitsamt zu melden.
Allen beim Arbeitsamt gemeldeten Grenzgängern wurde die Lebensmittelkarte entzogen.
1955:
Beim Lebensmittelempfang musste man seinen Arbeitsplatz angeben. Dieser wurde notiert.
Befand sich der Arbeitsplatz im Westen, ohne dass das auf dem Arbeitsamt registriert war, folgte eine Geldstrafe in Höhe von 800 DM (Ost).
Immer wieder wurde angedroht, dass Grenzgänger Miete, Gas, Strom, Wasser, Rundfunkgebühren und vieles mehr in Westgeld bezahlen sollten. In Berlin blieb es bei der Androhung dieser Maßnahme. Bei Grenzgängern aus Nauen (Nachbarort Berlins) wurde die Maßnahme zeitweise angewendet.
1957:
Grenzgängern wurden Lebensmittel- und Kohlekarten entzogen, soziale Leistungen gestrichen und in Einzelfällen sogar die Wohnung weggenommen.
Grenzgänger erhielten keine begehrten Produkte wie Fernseher oder Motorräder.
In den Wohnungen von Grenzgängern wurden Kontrollen durchgeführt, um unterbelegten Wohnraum zu erfassen. Aufgrund der Wohnungsnot hätten zwangsweise weitere Personen mit einquartiert werden können.
1961:
Das Verkaufsverbot wurde ausgeweitet: Fernsehgeräte, Motorräder, Kühlschränke, und Waschmaschinen durften nur noch an Einwohner des demokratischen Sektors verkauft werden, die auch dort arbeiteten.
Grenzgänger wurden beim Übertritt über die Grenze registriert. Danach wurden die Grenzgänger zuhause "besucht". Wer schulpflichtige Kinder hatte, wurde in die Schule bestellt, wo ihnen der Schuldirektor ins Gewissen redete. Ehepartnern oder Angehörigen von Grenzgängern drohte man mit dem Verlust des Arbeitsplatzes, mit dem Ziel, dass diese Druck auf ihre Angehörigen ausüben sollten.
Alle Maßnahmen führten nicht zum gewünschten Erfolg. Die Zahlen der umgestimmten Grenzgänger blieben im kaum messbaren Bereich.
Flüchtlingsströme
Seit ihrer Gründung verließen pro Monat zwischen 10000 und 20000 Menschen die DDR. Statistisch entsprach das der kompletten Einwohnerschaft einer Kleinstadt. Für das SED-Regime waren nicht nur die Fluchtzahlen an sich ein Problem, sondern besonders die soziale und altersmäßige Zusammensetzung der Flüchtlinge. Es waren vorwiegend junge Leute, die das Land verließen (1957 flüchteten 3000 Oberschüler aus der DDR, das war 1/4 des gesamten Abiturjahrganges des Landes) und es waren anteilig viele Hochschulabsolventen.
In den zwei Monaten zwischen dem 1. Januar 1958 und dem 31. Januar 1959 flüchteten beispielsweise
- 725 Wissenschaftler, darunter
- 72 Professoren,
- 84 Dozenten und wissenschaftliche Mitarbeiter,
- 105 Lehrbeauftragte,
- 89 Ober- und Assistenzärzte
in den Westen.
Hintergrund waren die geringen Aufstiegsmöglichkeiten, die geringe Entlohnung und die sozialistische Hochschulreform, mit der der ideologische Druck auf die Wissenschaftler erhöht wurde.
Als Reaktion auf die hohen Fluchtzahlen setzte die DDR zwar die Entlohnung der Hochschulabsolventen herauf, doch die Fluchtzahlen blieben dramatisch:
Im Jahr 1960 flüchteten
- 984 Ärzte,
- 142 Hochschullehrer,
- 2033 Lehrer und
- 50 Rechtsanwälte und Notare
aus der DDR.
Zwischen 1959 und 1961 war der Anteil an Bauern unter den Flüchtigen auffällig groß. Das lag an der durchgeführten Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft, nach der viele Bauern keinen Grund mehr sahen, dazubleiben. Da die Versorgung der DDR-Bürger mit Nahrungsmitteln aus der landwirtschaftlichen Produktion katastrophal war, war der Weggang der Bauern für das Land besonders dramatisch.
Die Lösung
Neben den hohen Flüchtlingszahlen und den Grenzgängern war auch der sich zuspitzende Kalte Krieg ein Problem. Längst waren die ehemaligen Verbündeten zu Feinden geworden. Die Gefahr eines dritten Weltkrieges lag in der Luft. Eine Vereinigung Deutschlands rückte in immer weitere Ferne. Die SED hatte mit dem Juni-Aufstand 1953 ihre erste große Niederlage eingefahren und konnte sich nur durch die Dauerpräsenz der Roten Armee auf den Straßen der DDR an der Macht halten. Gemeinsam mit den Machthabern in Moskau suchte die DDR-Regierung nach einer Lösung für alle Probleme.
„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“
Die SED-Regierung forderte, dass Westberlin eine neutrale, freie Stadt werden sollte, also von Westdeutschland abgekoppelt werden sollte.
Bei einer Pressekonferenz am 15. Juni 1961 erklärt die SED-Regierung diese Forderung. Eine Journalistin der BRD fragte: „Bedeutet die Bildung einer Freien Stadt Ihrer Meinung nach, dass die Staatsgrenze am Brandenburger Tor errichtet wird?"
Walter Ulbricht, der Staats- und Partei-Chef der DDR, antwortete darauf: „Ich verstehe Ihre Frage so, dass es Menschen in Westdeutschland gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR mobilisieren, um eine Mauer aufzurichten, ja? Mir ist nicht bekannt, dass solche Absicht besteht … Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten." Tatsächlich liefen, während diese Pressekonferenz gehalten wurde, die Planungen für den kurz bevorstehenden Mauerbau auf Hochtouren.
Der Mauerbau
In der Nacht vom 12. auf den 13. August 1961 begann die minutiös durchgeplante Aktion: Polizisten und Kampfgruppenmitglieder zogen Absperrungen entlang der Grenze zwischen Ost- und Westberlin und entlang des Außenrings um Westberlin - unter dem Schutz von 7000 Soldaten und hunderten Panzern.
Um 5:45 Uhr waren alle Straßenübergänge zwischen Ost- und Westberlin gesperrt. Nur an zwei Stellen konnte die Grenze noch passiert werden. Dort erfolgten Kontrollen.
Nachdem alle Absperrungen errichtet waren, rückten Bausoldaten und Bauarbeiter an. Unter dem Licht von Tiefenstrahlern begannen sie in Windeseile mit dem Hochziehen der Mauer. Zum Teil verlief die Mauer direkt über den Fußweg oder nah an Häuserwänden entlang. Von Familienmitgliedern und Freunden war man von einer Stunde auf die andere abgeschnitten. 250 Familien, die im Grenzgebiet wohnten, wurden in einer Räumaktion aus ihren Wohnungen geworfen und umquartiert. Kleingartenanlagen im Grenzgebiet wurden zwangsgeräumt.
Die Grenze wurde in den folgenden Jahren immer weiter nach militärischen Gesichtspunkten ausgebaut. Panzersperren, Postenhäuser, Zweimannbunker, Signalzäune und Beobachtungstürme entstanden. Insgesamt war die Mauer 155 Kilometer lang.
Rette sich wer kann - mit ein paar Habseligkeiten über den Zaun, der bald eine unüberwindbare Mauer ist
Mauer am Brandenburger Tor
Mauerabschnitt aus der Sicht Westberlins
Flucht
Die Berliner Mauer wurde in den Folgejahren immer wieder zum Schauplatz für spektakuläre Fluchtaktionen, z.B.
- in einem gepanzerten Bus,
- in einem mit Kies beladenen LKW,
- mit einer S-Bahn,
- mit einem Düngeflieger,
- in unzähligen Tunneln oder
- an einer Seilbahn oder
- mit einem Ausflugsdampfer.
Quellen:
Informationen Zugreisen, Flüchtlingszahlen und Grenzgänger: Stefan Wolle: „Der große Plan. Alltag und Herrschaft in der DDR (1949-1961).“, Ch. Links Verlag, Berlin (2013), S. 392 - 403.
Informationen Mauerbau: https://maulbeerblatt.com/alles/grenzgebiet-treptow/
Bilder Mauer: https://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Mauer